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Die wahre Farbpalette der Natur

Die Schönheit der natürlichen Farben und Farbstimmungen ist faszinierend. Aber die Wiedergabe der Farben auf unterschiedlichen Medien führt oft zu spektakulären, aber falschen Ergebnissen. Es ist so einfach, in Photoshop den Farb- oder Kontrastregler zu verschieben und die Dramatik zu erhöhen. Fast alle Fotos im Internet sind farblich in dieser Form „optimiert“. Man kommt aber andererseits auch nicht zu farbgetreuen Ergebnissen, wenn Fotos unbearbeitet bleiben. Der Grund ist die unendliche Anpassungsfährigkeit des menschlichen Auges an die jeweiligen Lichtverhältnisse. Das Auge kann größere Kontrastumfänge wahrnehmen als Papier oder Bildschirme abbilden können. Also verändert jedes Foto bereits die Realität, denn in der Regel kann nicht  der volle Kontrastumfang aufgezeichnet werden.

Die Elektronik der Kamera besitzt keine Sensibilität für die emotionalen Werte von Farben und Szenen. Im Automatikmodus versucht sie, die Szene auf ein Mittelmaß an Kontrast zu optimieren. Deshalb ist diese Einstellung für mich (fast) immer unbrauchbar. Andere Einstellungen stellen immer eine Annäherung dar. Der Fotograf muss sich entscheiden, was wichtiger ist: Die volle Bandbreite  der hellen oder der dunklen Farbtöne, eine große Tiefenschärfe oder die Konzentration auf ein Detail, die Sichtbarmachung von Bewegung über Unschärfe oder das Einfrieren eines winzigen Moments. Die Aufgabe des Fotografen ist es, den optischen Eindruck und den emotionalen Wert einer Umgebung mit dem Foto zu transportieren. Das fertige Bild wird immer unter anderen Lichtverhältnissen gesehen, als die, die während der Aufnahme tonangebend waren. Also muss ich die sanften Beige- und Goldtöne eines Spätnachmittags in der kazachischen Steppe mit sehr geringen Kontrasten so wiedergeben, dass sie im Kunstlicht einer Ausstellung nicht trübe wirken.

 

Ein Hirte mit seiner Schaf- und Ziegenherde im Nationalpark Antyl Emel, Kasachstan. März 2019, Spätnachmittag.

 

Wenn man sich in der Landschaft befindet, passt sich das Auge an die Lichtverhältnisse an. Das Licht war in der Wahrnehmung weich, mit vielen feinen, graduellen Übergängen, aber keineswegs flach. Natürlich registriert die Kamera nur den relativ geringen Kontrastumfang. Die scheinbar originalgetreue Wiedergabe wäre daher schon wieder falsch. Sie entspräche nicht dem Erlebnis des Betrachters, der am Spätnachmittag in der Steppe unterwegs war und dessen Augen sich an die dunkle Lichtstimmung längst angepasst hatten.

Klischees sind der Feind des Fotografen. Das Meer in Sardinien ist azurblau, der Himmel strahlend. Oft ist das auch so. Und wenn nicht, dann gibt es ja Photoshop. Es gibt nichts, was in Photoshop nicht „optimiert“ werden könnte. Wenn der Strand nicht ganz so einsam war, wie der Tourist sich das erträumt, dann entfernt man einfach die anderen Badegäste. Aber was sagt das Ergebnis noch aus? Es ist bestenfalls eine perfekte Illusion. Die Farbpalette wird reduziert auf Postkartenniveau. Die Natur ist viel fazinierender. Schön sind nur die „wahren“ Farben.

 

Südfrankreich, bei Bugarach

 

Aber es gibt keine Objektivität in der Fotografie. Keine Technik ist in der Lage, ein dreidimensionales Szenario in zwei Dimensionen „richtig“ wiederzugeben. Entweder die Technik greift mit ihren Gesetzmäßigkeiten ein oder der Mensch. Das Ziel sollte ein ehrliches Foto sein. Es kann aber nur das subjektive Erlebnis des Fotografen und seine Perspektive wiedergeben. Mehr Fotos zum Thema gibt es in der Galerie unter „Die wahre Farbpalette der Natur„.

 

Wattenmeer, Niederlande, Vlieland, Januar.