Fotoreise zu den sardischen Wildpferden
Es gibt Perlen, die erst leuchten, wenn man sie als Perle erkennt. Das gilt für Sa Jara (sardisch), die Giara di Gesturi (italienisch), ein windzerzaustes Hochplateau in der Mitte Sardiniens und das letzte Rückzugsgebiet der sardischen Wildpferde. Woher kommen sie? Darüber gibt es nur Vermutungen. Die Phönizier (oder die Griechen?) haben sie vor 2.800 Jahren auf die Insel gebracht, heißt es. Sie leben schon so lange hier, dass sie wieder zu Wildtieren wurden. Auch in Gefangenschaft wird aus ihnen kein zahmes Reittier. Sie haben die Größe von Ponys (so ca. 1,20 – 1,40 m), aber sie sind schmalgliedrig und hochbeinig wie Araber. Kleine Pferde, keine stämmigen Ponys. Gelegentlich hat man wohl versucht, Hauspferde einzukreuzen. Da Araber die vorherrschende Pferderasse auf Sardinien sind, haben sie wahrscheinlich auch arabisches Blut.
Auf der vulkanischen Hochebene der Giara sammelt sich das Wasser in unzähligen flachen Seen, die aber nach langer Trockenheit wie 2017 vollständig verschwinden und riesige, mit Steinen übersäte staubige und vegetationslose Flächen zurücklassen.
Dann wird das Futter knapp für die Wildpferde, die mit den ebenfalls verwilderten oder halbzahmen Rindern und den Ziegen- und Schafherden der Dörfer am Rande der Giara um Futter konkurrieren. Es gibt es einen bescheidenen Wildpferdetourismus in den Dörfern, die sich endlos und ergebnislos darum streiten, wem die Pferde eigentlich gehören.
Die Giara ist keine Landschaft, die ihre Schönheit nach außen kehrt. Korkeichen, Steineichen, unzählige grauweiße Steinbrocken und die halbhohe Macchia, dazwischen die staubtrockenen, stahlgrauen Flächen der ausgetrockneten Seen, die sich bis zum Horizont erstrecken. Das Licht wirkt hart, außer in den kurzen Zeiten bei Sonnenaufgang und kurz vor Sonnenuntergang, wenn der Staub in der Luft tanzt. Die Szenerie ist geteilt in die fast schwarze, immergrüne Vegetation, die stahlgrauen Flächen der Seen und den unendlichen Himmel, der wie eine riesige Lichtglocke über der Ebene liegt.
Es ist still, unendlich still. Der Wind hat die Stämme vieler Korkeichen in Windrichtung niedergedrückt und in bizarre Formen gepresst. Oft wachsen die Stämme ab Mannshöhe waagerecht weiter, die jüngeren Äste richten sich wieder noch oben aus. Stämme und Äste sind knorrig und starr, nur die harten Blätter und neuen Triebe bewegen sich ein wenig im Wind.
Es ist wie Magie, wenn die Pferde auftauchen. Leise, vorsichtig, ziehen sie in kleinen Gruppen ruhig über die offenen Flächen und verschwinden wieder in der Macchia.
Selten hört man ein Wiehern, wenn es mal zu einem Streit unter den Gruppen kommt oder etwas in der Familie geklärt wird. Dann wird die Szene kurz dramatisch.
Man sollte Zeit mitbringen, um ihnen zu begegnen und nicht nach ihnen suchen, sondern irgendwo in der Landschaft warten. Sie werden kommen, denn sie sind hier zuhause.
Sie sind nicht besonders scheu, aber sie bewahren Abstand zu den Menschen, die sie schon wahrgenommen haben, lange bevor man selbst etwas von ihnen sieht. Je mehr man selbst ein Teil der Landschaft wird und sich nur ruhig und bedächtig bewegt, je selbstverständlicher grasen, spielen und kämpfen sie in der Nähe der Menschen. Dieses Jahr sind sie nach der langen Trockenheit rappeldürr, aber der spärliche Regen Anfang Oktober hat ausgereicht, um einen Hauch von Grün und winzige blaue und rote Blumen sprießen zu lassen. Auch Gänseblümchen, die als seltene weiße Farbtupfer in der Macchia sofort auffallen, sind quasi als Vertreter einer üppigeren Vegetation hier zu Hause.
Kurz vor Ende der Dürre war die Situation so dramatisch, dass Helfer aus den Dörfern Stroh auf die Ebene gebracht haben. Die Pferde und die ebenfalls völlig abgemagerten wilden Stiere knappern noch an den Resten, aber sie brauchen es nicht mehr.
Weniger Schaf- und Ziegenherden wären eine bessere Hilfe für die wilden Bewohner der Giara, die in Notzeiten nicht in andere Regionen ausweichen können. Aber das erstaunlich dicke und meist pechschwarze oder seltener dunkelbraune Fell der Pferde glänzt in der Sonne, die Hufe sehen aus wie nach einer idealen Barhufpflege. Sie werden sich wieder rund und proper fressen.
Die Giara hat etwas von der Schönheit und Brutalität der Wüste. Welcher Reichtum an Bildern!
Aber man muß sie dieser Landschaft abringen wie seltene Edelsteine. Die Pferde wirken in dem hartem Licht und den extremen Kontrasten wie tiefschwarze Scherenschnitte.
Ich versuche bald nicht mehr, sie aus der Nähe zu fotografieren, denn ich möchte keine Bilder von mageren Tieren, die eine falsche Form von Mitleid erregen. Es sind Wildtiere, und das sollten sie auch bleiben. Sie leben hier lange genug, um mit den teils extremen Bedingungen zurecht zu kommen. Auffallend ist, dass die etwa halbjährigen Fohlen am besten aussehen. Dafür sind die Stuten, die sie gesäugt haben, extrem dürr, die Hengste sehen etwas besser aus.
Ich werde im Frühjahr zurückkommen und gesunde Herden sehen, die wieder die üppige Vegetation und das Leben genießen.