
Lichtfänger
Was genau tut eine Kamera? Natürlich haben unterschiedliche Kameras unterschiedliche Funktionen. Aber das sind nur Varianten einer zentralen Funktion, die alle Kameras haben und ohne die eine Kamera nicht funktioniert.
Auf diesem Foto ist nur die ramponierte Wand einer Reithalle zu sehen. Kein sehr aufregendes Motiv. Nur das Licht macht den Unterschied aus. Kameras zeichnen Spuren von Licht auf. Nicht mehr, und nicht weniger. Licht ist das Einzige, was über das Objektiv in die Kamera gelangt und einen Sensor oder einen Film verändert. Das Licht hinterläßt seine Spuren auf dem elektronischen Sensor oder auf dem Film, auf dem sie dann chemisch sichtbar gemacht werden. Die Elektronik speichert die unterschiedlichen Helligkeiten und die Farbe des Lichts als digitale Information. Genau gesagt arbeiten wir in der Regel ausschließlich mit den Lichtwellen, die auch das menschliche Auge wahrnehmen kann. Die ist nur ein kleiner Ausschnitt des vollen Spektrums der Lichtwellen, aber darauf ist der Sensor der Kamera justiert. Der Sensor der Kamera imitiert das menschliche Auge, das ohne Lichtwellen eines engen Ausschnitts der Lichtspektrums blind ist.
Ob eine Kamera teuer oder billig ist, einfach oder komplexer aufgebaut ist, klein oder groß ist, nichts kann diese simple Tatsache verändern. Eine Profikamera speichert mehr feinere Unterschiede, bildet die Details schärfer ab oder hat mehr Variationsmöglichkeiten über Zeit, Blende und Lichtempfindlichkeit. Aber sie tut nichts anderes als die einfachste oder die älteste Kamera aus den Anfängen der Fotografie.

Sardinien, Hünengrab, Vollmond auf der Giara di Gesturi.
Was auch immer wir vor dem Objektiv haben: nur das Licht gelangt als Reflexion oder direkt von einer Lichtquelle bis ins innere der Kamera. Fotografen zeichnen mit Licht. Sie fangen es aus einem bestimmten Winkel, mit einer bestimmten Brennweite und Tiefenschärfe und für einen genau bestimmten Zeitabschnitt mit ihrer Kamera ein. Was nicht zur Kategorie „sichtbares Licht“ gehört, hat keinen Einfluß auf das Ergebnis. Objekte vor der Kamera wirken nur als reflektierende oder absorbierende Oberflächen für das Licht. Entweder sie schlucken das Licht, oder sie lenken es in die Kamera.
Dieselben Motive ergeben bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen völlig unterschiedliche Bilder. Unterschiedliche Materialien haben auch bei exakt gleicher Form und bei gleichen Lichtverhältnissen unterschiedliche Oberflächen und beeinflussen daher das Licht unterschiedlich. Ein Stück poliertes Metall geht anders mit dem Licht um als ein Stück mattes Holz.

Costa Rica. Das Sonnenlicht fiel fast senkrecht in eine enge Schlucht im Dschungel.
Für einen Fotografen sind das vorhandene Licht, seine Verteilung im Raum, die Helligkeit und die Kontraste das Material, mit dem er arbeiten kann. Wie er damit arbeitet, bestimmt er über die Einstellungen seine Kamera und der Objektive.
Daher ist der erste Schritt für einen Fotografen die Wahrnehmung der Lichtverhältnisse. Dies vermischt sich mit der Bedeutung, die die abgebildete Szenerie hat. Aber nicht die Szenerie entscheidet das Ergebnis, sondern die Szenerie wird durch das vorhandene Licht gestaltet und erhält so eine spezifische Aussage.

Sardinien. Wenn sich die Wellen am Strand brechen, läßt das Sonnenlicht das Wasser wie Glas aufleuchten.

Sardinien, Giara di Gesturi kurz vor Sonnenaufgang